Junge Redakteur:innen: Club Melo

von Manuel Rechsteiner

Es gibt diesen einen Moment, an dem alles ganz einfach scheint: Irgendwo beginnt ein Klavier zu spielen, ein Spieler hebt das Mikrofon an den Mund und beginnt die ersten Zeilen des Songs „Trotzdem“ von Danger Dan zu singen. Es ist der vielleicht ruhigste Moment des Abends, und auch einer der berührendsten, voller Demut und Ehrlichkeit. Doch davon gibt es einige: Der Club Melo bringt im Stück „MENSCH ÄRGERE DICH NICHT“ auf der diesjährigen ClubFusion auf spielerische und zugleich hochpolitische Weise viele Fragen rund um Inklusion, Ableismus und Gerechtigkeit auf die Bühne. Unter den Spieler:innen sind Menschen mit und ohne Behinderung, die beiden Clubleiterinnen Josephine Wöhler und Mieke Müllerschön haben bereits vor der Premiere im Gespräch mit Ahoi Leipzig beschrieben, wie wichtig ihnen die Normalisierung von Inklusion auf Theaterbühnen ist. Genau das gelingt hier: Die Spieler:innen gestalten zusammen mit Ani Ferio (Musik), Matthias Queck (Chorleitung) und der Gebärdensprachdolmetscherin Bianca Klein einen bunten Abend mit allerlei künstlerischen Mitteln, der zunächst voller Spannung und Vorfreude beginnt: Das Publikum wird von Anfang an in vier Teams aufgeteilt, die Spieler:innen bewegen sich wie in einer Arena vom Publikum umringt – und ganz in der Mitte steht das große ‚Mensch-ärgere-dich-nicht‘-Podest, um das sich inhaltlich alles dreht. Auf der Bühne sind die Musiker:innen und das von einer Handkamera eingefangene und auf eine große Leinwand projizierte Geschehen des Stücks zu sehen. So ergibt sich aus einem zunächst einfachen Setting eine hochkomplexe Spielanordnung.

Zuerst werden die Teams eingeteilt, alle Spieler:innen tragen Shirts mit bestimmten Rollenbegriffen, so ist zum Beispiel ‚Mutter‘, ‚Aktivistin‘, ‚Filmstar‘ oder auch ‚Teenager‘ zu lesen. Ein erster Vorgriff auf die später thematisierten gesellschaftlichen Zuschreibungen, von denen es so schwer ist, sich zu lösen? Dann wird gewürfelt, ganz dem Spiel ‚Mensch-ärgere-dich-nicht‘ nachempfunden: Die Figuren rücken je nach gewürfelter Zahl auf dem Spielfeld vor, müssen jedoch auf jedem Feld gewisse Aufgaben bearbeiten: So werden beispielsweise Standbilder gebaut, Musik gemacht oder bis zur Erschöpfung Fitnessübungen betrieben. Immer mit dem Anspruch, zu gewinnen, angetrieben und aufgepeitscht von den zwei Spielleiter:innen. Durch die Interaktivität des Stücks, die Einbeziehung des Publikums und der Schnelligkeit des Spiels können sich die Zuschauer:innen nie ganz sicher sein, was gerade Inszenierung, was Improvisation ist. Irgendwann kommt es zu dem Punkt, an dem zwei Teams lautstark Manifeste verlesen, in denen sie genau und beispielreich die noch immer wirkende strukturelle, soziale, politische und ökonomische Exklusion von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft beschreiben und ebenso beispielreich Forderungen dagegen erheben. Auf die Frage, welches Manifest gewinnt, erhebt sich Protest: Wieso überhaupt dieses Spiel, wieso diese absurde Frage, wieso finden wir uns immer wieder in derartigen Wettbewerbs- und Ungerechtigkeitsstrukturen wieder, woher kommt das ständige Bewerten, das Sich-selbst-Niedermachen, die ständigen Erwartungen und Enttäuschungen? Es ist dieser Moment, an dem die Spielregeln und die bisherige Ordnung des Abends gestürzt werden, aber eben auch der Moment, in dem sich geradezu utopische Handlungsräume auftun, allein in dem Zusammensein der Spieler:innen. Sie enden wieder mit Musik, und wenn man den Saal verlässt, hat man immer noch Danger Dan im Ohr: Es gibt die Enttäuschungen, die Ungerechtigkeit, die vielen Zweifel, aber es gibt eben auch das Sprechen darüber und die Solidarität der Menschen auf der Bühne. Trotzdem.


Manuel ist Teil der Jungen Redakteur:innen – ein junges Schreibkollektiv, das Artikel rund um das Festival ClubFusion schreibt.