Junge Redakteur:innen: Queer Club
von Louisa Lenz
Der Rausch, den man durchlebt, wenn man zu einer belanglosen Uhrzeit in einem Club steht, tanzt, die Augen schließt und nur noch den Beat der Musik spürt. Die Außenwelt verliert ihren Bezug, man existiert ganz allein in der eigenen Welt, in einer Blase der Bedeutungslosigkeit und Schwerelosigkeit. Ein Zustand, der an eine Utopie erinnert.
So empfängt „Qutopia“ das Publikum, wenn es den Raum betritt und eine Gruppe farbenfroh gekleideter und geschminkter, in einer Reihe tanzender Darstellender genau diesem Zustand der Ekstase fast zum Mittanzen einlädt und einen sofort mitnimmt, einzieht, mitzieht. Ein eindrucksvoller Einstieg, der viel und keinesfalls zu viel verspricht. Der Rausch wirkt noch nach als sich die Atmosphäre verändert, die Realität, oder zumindest eine Ernsthaftigkeit, den Raum einnimmt. Utopie, was ist das eigentlich? In den einzelnen Bestandteilen des Wortes, die von der eben noch tanzenden Gruppe auseinandergenommen und assoziiert werden, verdeutlicht sich seine Undefinierbarkeit und Relativität, die sich durch das gesamte Stück zieht. Um dieser Frage nachzugehen, macht sich eine zweite Gruppe Darstellender auf die Suche nach Qutopia, ein Kompositum aus Utopie und Queerness. Ein Ort, dessen Existenz zeitweise angezweifelt wird, der aber niemals unrealistisch scheint. Die Reisegruppe Qutopia könnte kaum unterschiedlicher sein. Die ständige Fehlkommunikation fünf sehr spezieller Charaktere löst fast ein Unbehagen aus, das nur von ihrer jeweiligen Einzigartigkeit und Authentizität nivelliert werden kann. Sie suchen und verlaufen, streiten und versöhnen, zweifeln und ermutigen sich. Parallel scheint es eine zweite Welt zu geben, die sich in einem konträren Szenenbild äußert. Ist es die Welt, die gesucht wird? Es ist eine Welt der Sinnlichkeit und Sorglosigkeit. Sie erfüllt den zuschauenden Körper mit Leichtigkeit und innerer Ruhe und wird zu einem stetigen Sehnsuchtsort, der den angespannten Verhältnissen der Reisegruppe gegenübersteht. „Don‘t Worry, Be Happy“ als Leitmelodie sowie in metaphorischer Darbietung als Botschaft, in Gleichzeitigkeit mit politischen und gesellschaftskritischen Aussagen, ausdrucksstarken Bewegungen, harmonischen Lauten sowie Körper- und Lichtspielen, die berühren, integrieren und interagieren, vermittelt ein wiederkehrendes Rauschgefühl. Ausgelöst durch die Kombination aus einer Stimme aus dem Off und Zitaten auf einer Leinwand in auffordernder Dringlichkeit von gesellschaftlichen Veränderungen und den Musik- und Tanzeinlagen, die Geborgenheit und Sicherheit übertragen. Das Zusammenspiel beider, das den Zuschauenden kurzzeitig alles vergessen lässt und an einen Ort der Utopie entführt? Ein Gefühl der Unbeschwertheit und Stärke, welches man nur ungern wieder verliert, wenn man zurückgebracht wird in die vermeintliche Realität, die fortlaufende Suche der Reisegruppe – oder der gesamten Gesellschaft? – nach eben diesem Ort, Qutopia. Es ist ein Zusammenspiel von Welten, die in keiner Hinsicht zusammenpassen und es aufgrund ihrer Gegensätzlichkeit genau deshalb tun und wollen.
Die Darstellenden des ‚Queer Club‘ schaffen unter der Leitung von Veronique Nivelle und Adam Williams einen spielenden Wechsel zwischen Ernsthaftigkeit und Sorglosigkeit, Rastlosigkeit und Ausgeglichenheit, Anspannung und Entspannung, der offen lässt, ob und wie sich dabei Dystopie und Utopie jeweils zuordnen lassen. Die Frage der Utopie ist eine an das Publikum, das Individuum und an die Menschheit, die unbeantwortet bleibt. Auch das tatsächliche Finden Qutopias ist am Ende ungeklärt. Die irrationale Kompatibilität der gesamten Komposition regt zum Nachdenken, Mitdenken und Weiterdenken an. Was ist Utopie und was kann Utopie sein? „Qutopia“ gibt Hoffnung, Stärke und vor allem Mut. Spätestens wenn sich die Darstellenden zu entsprechender Musik wie Superhelden vor dem Publikum aufbauen und menschenrechtliche und toleranzsteigernde Forderungen, eine Versuchsanordnung, ausrufen, scheint alles möglich, dann kann die Utopie zur Realität werden, dann wird es eines Tages Qutopia geben.
Louisa ist Teil der Jungen Redakteur:innen – ein junges Schreibkollektiv, das Artikel rund um das Festival ClubFusion schreibt.