Junge Redakteur:innen: #noname
von Lilith Michaelis
Das Licht geht aus, Nebel liegt in der Luft und eines wird sofort klar: Der Marianengraben ist ein düsterer Ort. ‚#noname‘ nimmt uns mit auf eine Reise, die nicht durch seichte Gewässer führt: Angelehnt an das Jugendbuch „Kompass ohne Norden“ von Neal Shusterman stellen sich die jungen Spielenden des Jugendclubs auf der diesjährigen ClubFusion dem Ungeheuer in ihren eigenen Köpfen, und sie tun dies voll Mut und Überzeugung. Und so geht es langsam hinab in ein Wellenbad aus Ängsten und Verwirrungen, dem Wunsch, verstanden zu werden und dem Wunsch, das Ruder selber wieder in die Hand nehmen zu können. Es sind Probleme, die vielleicht nicht jeder kennt, aber von denen jeder zumindest eine Idee hat. „Was sehe ich, wenn ich die Augen schließe?“ behandelt nicht nur die Geschichte eines Abenteuers, es ist auch selber eins. Die jungen Darstellenden sind hier nicht nur Kapitän:innen, sie sind auch das Wasser, sie sind die Strudel und Ströme sowie die ganze Welt drumherum. Sie bewegen sich als Kollektiv, tanzen, singen, pulsieren, werden hemmungslos in der einen und vollkommen statisch in der nächsten Szene, sie lösen sich einzeln heraus, werden zu Figuren, um dann schließlich wieder in den sicheren Hafen, die Gruppe, zurückzukehren. Es ist wirklich beachtlich, wie gut das Ensemble, unter der Leitung von Nele Hoffmann und Sarah Franziska Berger, seine Geschichte erzählt: Man kann sie immer wieder erahnen, mal schimmert hier ein Detail durch, mal finden sich dort Teile aus Shustermans Buch, aber sie bleibt verwoben in etwas, das sich fast schon als etwas Persönliches liest: Teenager mit Problemen, Teenager, die gerade anfangen, die hinteren Ecken ihres Kopfes zu erkunden und nicht selten mit dem Vorgefundenen überfordert sind. Eine große Stärke der Inszenierung ist, mit welchen einfachen Mitteln Atmosphäre erzeugt wird. Bühne und Kostüm von Stella Vollmer und Arabella Marsh-Hilfiker sind simpel in Blau- und Grautönen gehalten – passend zum nautischen Thema, das sich durch das Stück zieht. Schlüpfen die Darstellenden in fremde Rollen, so ziehen sie sich kunstvolle, thematisch angepasste Überwürfe an. Auf der Bühne befindet sich lediglich ein Gerüst und mittig eine kleine Videoleinwand, den Rest übernimmt das Licht. Und trotzdem: es funktioniert hervorragend. Das Videomaterial, die Farben, die düstere Stimmung; man hat das Gefühl, auf einem alten Schiff mitten auf See zu sein, auf der gerade ein Sturm aufzieht. Die Inszenierung selbst hingegen besticht durch Vielseitigkeit. Expressive Texte werden von Choreographien abgelöst, die Bühne wird sich mit Kreide und Tape zu eigen gemacht, das Publikum wird zur Rechenschaft gezogen und es wird sogar gesungen – so schön, dass einem fast die Tränen kommen und man sich erinnert, wie man selbst einmal 12 war und so verloren, dass man dachte, man verliert den Verstand. Ein Glück, dass es auch immer wieder Gründe zum Lachen gibt, kleine Augenzwinkerer und hoffnungsvolle, ruhige Szenen, in denen alles für einen Moment in Ordnung zu sein scheint. ‚#noname‘ wagt einen Sprung in die Tiefe und es zahlt sich aus. Die Inszenierung mag eine Romanvorlage haben, aber sie besticht durch eine subtile Ehrlichkeit, die eine Wahrheit preisgibt, eine, die man vielleicht erahnen kann, blickt man den Jugendlichen in ihre Augen. Wenn sie diese nicht gerade geschlossen haben.
Lilith ist Teil der Jungen Redakteur:innen – ein junges Schreibkollektiv, das Artikel rund um das Festival ClubFusion schreibt.