Junge Redakteur:innen: Club Visible

Frieda schreibt über "Pillowtalk: Consúltalo con la almohada – Darüber schlafen" ClubFusion 2025

Hände und Füße tanzen sich räkelnd auf die Bühne. Zwanzig Personen fließen weich auf fluffige Kissen, jetzt geht es los auf einen wilden Ritt durch die Nacht! Das bunt gemischte Publikum mit lustigen Frisuren sitzt gespannt und freudig in der intimen Atmosphäre des Theaters der Jungen Welt. Auch ich möchte mich strecken, dehnen, zusammenrollen, Teil werden dieses flauschigen Haufens Schlafender, die ruhig atmend den Rahmen halten für den Prozess, der sich in einer runden Stunde gemeinsam durchlebten Wahnsinns entfalten wird.

Es beginnt sanft zu dröhnen, reduzierte summende Klanginstallation begleiten das Ensemble von Club Visible/Sichtbar durch intensive Gedankenketten der Verzweiflung, die zärtlich bis wütend das Innerste nach außen kehren. Es kommt mir seltsam vertraut vor, was auf der reduziert-dunklen Bühne verhandelt wird: Das nächtliche Gehirn scheint grundsätzlich grässliche Perspektiven auf die menschlichsten aller Fragen herauszubluppern: Wie sage ich nur, dass ich mich verliebt habe? Oder dass die Beziehung vorbei ist! Dass ich gehen will und nicht weiß, wohin? Dass du bleiben sollst, auch wenn ich nicht weiß, wer ich bin??

Ein autobiografischer Menschenhaufen begibt sich multilingual durch Verwirrung, Stress, Wut, Überreizung, Trauer, Beklemmung und Ohnmacht bis zur Katharsis. Zwei bis vier Stühle reichen völlig aus, um Räume zu erschaffen, Perspektiven zu wechseln, sich seinen Ängsten zu stellen und in die Welt zu schreien, was durch den schlaflosen Kopf rast. Kissen werden geschleudert, Rucksäcke stehen gepackt bereit. Und nun? Welcher Weg soll es werden? Geht es wirklich immer tiefer hinein in die Dunkelheit der eigenen Hirnwindungen? Manchmal reicht ein Lichtstrahl, der den Balanceakt zwischen mir und dir, meinen Gefühlen und deinen Sehnsüchten trägt.

Innere Monologe teilen sich lautstark und unter Tränen mit. Gefühle ringen barfuß um Ausdruck, wollen in eigene Fußstapfen treten, endlich wieder fliegen und fürchten den freien Fall. Den Fesseln entrinnen, doch was dann? Schreien bei Panik. Singen bei Sehnsucht. Rhythmische Repetition bei Überforderung. Der Kopf wird an- und ausgeknipst, Hürden wollen übersprungen werden, das Gedankenkarussell läuft auf Hochtouren. Wir bekommen den Spiegel vorgehalten und erfahren: "Verliebtheit ist ein komplexes emotionales Phänomen." Diese Info hilft leider gar nicht, aber tanzen hilft. Hoffentlich. Der fluoreszierend-silberne Morgenmantel erweist sich als weitgehend wirkungslos gegen emotional disturbances, doch er sieht unfassbar toll aus! Überhaupt, die Kostüme: Kann eine Kapuze Ängste abschirmen? Helfen Headphones gegen intrusive thoughts? Lieber auf nackten Füßen durch den Gefühlssumpf oder in Stiefeln in den Wald? Kann eine wilde Kissenschlacht die Spannung lösen? Verrate ich zu viel, wenn ich euch von einem fulminanten Finale im Rausch der Erleichterung berichte? Von Türen, die sich überraschend öffnen, einem Lichtschimmer der Hoffnung? Endlich schlafen, ruhig und traumlos... "Wenn die Sterne zusehen", so erfahren wir von den vier Hüterinnen der Flamme Nura, "kannst du eh nicht pennen!" Sie haben das aber viel schöner ausgedrückt, andächtig ums Feuer sitzend, uralte Weisheit aus dem Anbeginn der Zeit dem faszinierten Leipziger Publikum schenkend in Sprachen mit und ohne Worte.

Gemeinsam wegsacken, aufschrecken, zusammenzucken, steckenbleiben. Beklommen sein, verrenkt, zerflossen. Was macht Schlaflosigkeit mit unseren Körpern? Die chronic physiological consequences of emotional disturbances, unausweichliche Zerrüttung durch chronischen Schlafentzug und ihre mannigfaltigen Gründe werden mit großer Spielfreude in Gruppenszenen und Duetten ausgestaltet. Teils werden wir direkt angesprochen, und uns wird in großer sprachlicher Klarheit erklärend präsentiert, was abgeht. Dann wieder sind wir ganz schüchterne Beobachter:innen kniffeliger zwischenmenschlicher Ver- und Entwicklungen, Zeug:innen innigen Ringens um die richtige Entscheidung. Ach was, irgendeine Entscheidung! Hauptsache Ruhe im Oberstübchen, man kann sich ja nicht endlos wälzen - spring! Nimm Anlauf und tu es! Oder lieber doch nicht? Oje! Alle anderen schaffen es doch auch, schlafen doch auch, schlafen sogar in der Tram, gleiten mühelos hinüber... für Sekunden, kostbare Sekunden des Dösens - denn auch die Anderen haben ihre Sorgen, drückende, würgende, erstickende Nöte und fiese, nagende, zerrende Angstgedanken, die sich wiederholen und wiederholen und wiederholen und wiederholen und wiederholen, bis sie sich uns ganz und gar geholt haben und an Erholung nicht mehr zu denken ist. Überhaupt, denken! Wann hat das denn jemals irgendwem geholfen, nachts zu grübeln? Und warum kann man es dann nicht einfach bleiben lassen, verflixt nochmal!! Der Spielclub hängt sich richtig rein, gibt uns Definitionen an die Hand und spannungsreiche Interaktionen zu bestaunen.

Ein stark verdichteter Abend mit großer Poesie erwartet euch. Szenencollage in geschickt ausgeleuchteter wilder Ekstase - ein Wechselspiel aus Stille und Exzess. Was wäre ein Abend über Insomnia ohne wummernde, treibende Beats? Ohne dröhnende Stille? Auch die feinen Töne werden angeschlagen, zartes Piano und Waldkauz reihen sich ein mit dem beruhigend-enervierenden Ticken der Uhr, dieser Uhr, die wohl jede:r kennt in der schlaflosen Nacht... Es ist dieses Wechselspiel aus dem Banalen, des Allzu-Bekannten und der entrückten Welt des Halbschlafs, das mich so gerührt und in den Bann gezogen hat: Traumartige surreale Sequenzen wechseln elegant mit konkreten Fragmenten aus den Biografien der mutigen Visiblen, die uns hineinziehen in ihre Gedankenschleifen, die ihre Herzen für uns ausbreiten. Menschen strecken sich, dehnen sich, spannen sich bis zum Zerreißen, fliegen gelöst in der Musik ihrer Liebe, tanzen und schlaffen kollektiv ab. Verschleierte Gestalten nehmen uns mit an den Anbeginn der Zeit: Rhythmus, Ritual, Magie - man muss nicht jedes Wort verstehen, um fasziniert zu bleiben. Das Publikum feiert die Premiere mit Bravo-Rufen und die Spielenden sich selbst und einander mit den süßesten Verbeugungen, einem innigen Jubel über die gelöste Spannung dieses intensiven Debuts.


Frieda ist Teil der Jungen Redakteur:innen – ein junges Schreibkollektiv, das Artikel rund um das Festival ClubFusion schreibt.